Jeder Sieg tut einem Trainer wohl. Aber es gibt solche, die tun noch wohler: beispielsweise das 2:1 von Ajoie gegen den HC Davos. Christian Wohlwend (47) hat beim ersten Direktduell den Klub besiegt, der ihn im Januar nicht mehr wollte. Nun steht Ajoie nach zwei Spielen auf Platz zehn und der HCD ist punktelos auf den 13. Rang abgerutscht. So wird es wahrscheinlich im nächsten Frühjahr nicht mehr sein. Aber es ist eine schöne Momentaufnahme.
Christian Wohlwend sagt, was er denkt, und vielleicht ist das auch ein Grund, warum er jetzt in Ajoie und nicht mehr in Davos an der Bande steht. Er sagt nicht – wie es heute bei der neuen Kultur der nichtssagenden Aussagen Brauch geworden ist –, es sei ein Sieg wie jeder andere und er freue sich für sein Team und sei stolz auf seine Spieler. Er sagt: «Mit Ajoie ist jeder Sieg cool. Aber dieser Sieg gegen Davos ist ganz besonders cool.» Es ist erst der zweite Sieg der Jurassier in elf Begegnungen seit dem Wiederaufstieg. Und ein wenig Balsam auf eine alte Wunde: 2020 hat Christian Wohlwend den Cupfinal mit dem HC Davos gegen Ajoie 3:7 verloren.
Die Genugtuung ist verständlich. Dieser Sieg von Christian Wohlwend mit Ajoie gegen Davos ist die Story des Septembers. Denn Ajoie hat eigentlich rein hockeytechnisch gegen den HCD keine Chance. Wir haben keine Chance – also packen wir sie: Nur ein Trainer mit dieser Einstellung kann Ajoie weiterbringen und zu einem Sieg gegen den HCD coachen. Nachlässigkeit der Davoser kann nicht der Grund für die Niederlage sein. Sie hatten das Startspiel auf eigenem Eis gegen Gottéron verloren. Eine Reaktion war gefragt.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Ajoie braucht einen Trainer mit Selbstvertrauen. Nur wenn der Trainer an sich glaubt, kann er seine Spieler davon überzeugen, dass das Unmögliche möglich ist. Nach der Freistellung am 10. Januar in Davos waren die Meinungen in der Szene gemacht: Christian Wohlwend bekommt keinen Job mehr in der höchsten Liga. Zu eigenwillig, zu unbequem, zu nonkonformistisch und ohne den Weihrauch des grossen Erfolges. Über den Halbfinal war er in Davos nicht hinausgekommen und den Spengler Cup gewann nicht er mit dem HCD. Sondern Luca Cereda mit Ambri.
Als er noch im Mai während der Eishockey-WM keine Arbeit hatte, sagte Christian Wohlwend trotzig, er denke nicht daran, irgendwo als Assistent zu arbeiten, und sagte mit ruhiger Gewissheit: «Ich bin ein Headcoach.» Ajoies Sportdirektor Julien Vauclair ahnte, ja wusste, dass er einen Trainer mit dem Profil von Christian Wohlwend braucht. Ein gewöhnlicher Trainer kann ihm nicht weiterhelfen. Einen grossen Namen wie Jussi Tapola oder Rikard Grönborg bekommt er sowieso nicht.
Mag sein, dass Christian Wohlwend aus der Vergangenheit gelernt hat und nicht mehr Trinkflaschen in Richtung Schiedsrichter schmeisst wie in Davos während des verlorenen Halbfinals im Frühjahr 2022 gegen Zug. Aber er ist auch nach fast vier Jahren in Davos immer noch der wahre Christian Wohlwend. Sonst hätte er den Job in Ajoie nicht angenommen und nicht bekommen.
Ajoie spielt ein ähnliches aktives Defensivsystem wie etwa Ambri oder Langnau. Ein emotionales Lauf- und Tempohockey, mit dem den Gegenspielern Raum und Zeit genommen wird. Ein kräfteraubendes Hockey und die Frage ist bei Ajoie die gleiche wie in Langnau und Ambri: Wie weit werden uns die Füsse tragen? Eigentlich befindet sich Ajoies Trainer in der gleichen Lage wie einst als U20-Nationaltrainer (2016 bis 2019): Der Unterschied zwischen Ajoie und den Titanen der Liga ist ähnlich gross wie bei einer U20-WM die Differenz zwischen den Schweizern und den Grossen des Welthockeys. Christian Wohlwend ist in Ajoie am Ort seiner Bestimmung angekommen.
Eine Frage bleibt noch: Wie haben eigentlich die Davoser ihre erste Niederlage gegen ihren alten Trainer am späten Samstagabend hingenommen? Christian Wohlwend sagt, er habe nach dem Spiel mit niemandem gesprochen, hält kurz inne und ergänzt: «Aber es hat Gratulations-SMS gegeben.» Aus der Kabine von Davos? «Ja.»
Von wem? Er verrät weder, wie viele es waren, noch den oder die Absender. Wohlweislich. Der Romantiker sagt: Schön, dass Christian Wohlwend der Sieg gegönnt wird. Der Realist und der Boshafte denken: Sollte Christian Wohlwends Nachfolger Josh Holden (45) in Davos in Schwierigkeiten kommen, dann wären der oder die SMS-Sender als Kabinenrevolutionäre entlarvt. Es ist also besser für alle, wenn HCD-Sportdirektor Jan Alston auf diese Frage nie eine Antwort erhalten wird.